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Aspazija
Während ihrer Schulzeit in Jelgava begann die vierzehnjährige Elza, Gedichte in deutscher Sprache zu verfassen. Ihre Wißbegier und Begeisterung für Literatur brachte ihr bei Freunden und Lehrern den Spitznamen „Aspazija“ ein, mit dem sie 1887 auch ihre erste Gedichtveröffentlichung in der Feuilleton-Beilage der Tageszeitung Dienas lapa (Tageblatt) unterzeichnete. 1886 heiratete sie zum ersten Mal; die Ehe war unglücklich, ihr Gatte setzte sich bald nach der Hochzeit auf Nimmerwiedersehen in die USA ab. Von 1891 bis 93 arbeitete Aspazija als Hauslehrerin; während dieser Zeit entstanden ihre ersten Theaterstücke und das Poem Saules meita, das jedoch keinen Verleger fand. Es erschien erst im Druck, nachdem sie durch ihre Theaterstücke (teils skandalöse) Berühmtheit erlangt hatte.
Erzürnt über eine Rezension in der Dienas lapa zu ihrem Stück Vaidelote, in der sie sich missverstanden fühlte, stellte sie den Chefredakteur Jânis Pliekðâns zur Rede um sich kurz darauf vehement in ihn zu verlieben. Pliekðâns, ein studierter Jurist, war einer der Vordenker der linken, gegen den Zaren gerichteten Bewegung Jaunâ strâva (Neue Strömung). Aspazija ermunterte ihn, seine literarischen Versuche wieder aufzunehmen (als Jugendlicher hatte er für seine Gedichte Spott geerntet und daraufhin die Feder zur Seite gelegt) und empfahl ihm, sich für seine ersten Veröffentlichungen im Januar 1896 ebenfalls einen Künstlernamen zuzulegen; er entschied sich für den Namen Ranis, unter dem er im 20. Jahrhundert zum „lettischen Nationaldichter“ avancieren sollte. 1895/96 wohnte das Liebespaar vorübergehend in Jelgava und Berlin sowie 1897 im litauischen Panevëþys, wo sich Rainis als Anwalt niederließ. Im Mai d. J. wurde er dort aufgrund eines Verrats innerhalb der eigenen Reihen verhaftet und in verschiedenen Gefängnissen in Panevëþys, Liepâja und Riga gefangengehalten. Während der Haftzeit beendete Rainis die auf Anregung von Aspazija begonnene und im stetigen Austausch mit ihr gemeinsam erarbeitete Übersetzung von Goethes Faust ins Lettische; der Text erschien praktisch parallel zu seiner Entstehung in Fortsetzungen in der Monatsschrift Mâjas Viesa Mçneðraksts.
Da Rainis als Jurist es geschafft hatte, die Ehe zwischen Aspazijas und ihrem ersten Gatten annullieren zu lassen, konnte das Paar zwischen Rainis’ Haftentlassung und seiner Abreise in die Verbannung ins russische Hinterland heiraten nur als Ehefrau war Aspazija berechtigt, ihn an seinem Verbannungsort zu besuchen. Von 1898 bis 1903 reiste Aspazija zwischen Slobodskoj und Riga, wo sie als Übersetzerin und Redakteurin für beide das Geld verdiente, so oft wie möglich hin und her; die anstrengende Reise dauerte jeweils mehrere Tage. Bald nach seiner Heimkehr ins Generalgouvernement Livland beteiligte sich Rainis an der Revolution von 1905, nach deren Scheitern er und Aspazija Russland fluchtartig verlassen mussten. Vierzehn Jahre lang lebte das Paar im Schweizer Exil in Zürich sowie Castagnola im Tessin, wo Rainis sein Hauptwerk niederschrieb und Aspazija eingeschränkt durch verschiedene Krankheiten und ihre Pflichten als Hausfrau drei ihrer zwölf Gedichtbände sowie ihre Kindheitserinnerungen. Nach Beendigung des Ersten Weltkriegs bzw. der Befreiungskämpfe der neugegründeten Republik Lettland kehrte das Dichterpaar im April 1920 in die Heimat zurück; ihnen wurde ein triumphaler Empfang bereitet, unter anderem waren zwei der zentralen Straßen Rigas nach ihnen umbenannt worden. Beide gingen kurzzeitig in die Politik; Aspazija war u. a. Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung. Nach zwanzigjähriger Unterbrechung nahm sie ihre Arbeit als Dramatikerin wieder auf und führte bis an ihr Lebensende eine rege und vielseitige schriftstellerische Tätigkeit fort. Nach Rainis’ Tod im September 1929 kümmerte sie sich zudem um dessen literarischen Nachlass.
Matthias Knoll
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